Reisebuch aus den Österreichischen Alpen (op. 62) CD Cover 500

Ernst Krenek (1900 - 1991)

Johann Strauss Ensemble

 

„ICH REISE AUS,
meine Heimat zu entdecken“ lautet der erste Satz im 1929 geschriebenen
„Reisebuch aus den österreichischen Alpen“

 

von Ernst Krenek. Und so wie man „aus“ seiner Heimat reist,
reist (oder „reißt“?) man vielleicht auch ab und zu von der eigenen Person aus,
sie von außen zu betrachten und sie und/oder sich selbst neu zu entdecken
und vielleicht anders einzuordnen als vorher.
Das jedenfalls war mein spontaner Gedanke,
als ich die Klavierfassung von Kreneks op.62 erstmals in den Händen hielt. Unversehends ist man schon „fremd ein- und ausgezogen“ bei Kreneks großem kompositorischen Vorbild.
 Ein besonderer Reiz der Texte dieser Lieder bestand für mich
(als ebenfalls „Ausgereistem“) im rapiden Aufeinandertreffen
von (Selbst-)Betroffenheit und Distanziertheit.
„In verborg'nen kleinen Dingen spiegelt sich noch heute Größe, Glanz und Trauer alter, lang vergang'ner Zeiten“ ist der bekenntnishaft nostalgische Text im „Heimweh“ des so tief im kulturell gebildeten Bürgertum Wiens Verwurzelten,
der dann andererseits im Lied „Politik“ sich quasi von außen
sehr konkret an seine Mitmenschen wendet,
vor zukünftigen Gefahren warnt und Versöhnung unter den Menschen anmahnt:
„Wir waren auserseh'n, Hirten zu sein für die vielen Völker des Ostens und Südens, die mit uns vereint waren. Wir haben die Aufgabe nicht erfüllt,
die Prüfung nicht bestanden, von schlechten Lehrern schlecht vorbereitet.“
Was schriebe dieser Wort- und Tongewaltige heute?
Mein Thema, besser meine Themen sind aber musikalischen Charakters.
Es stellten sich zwei Aufgaben, die zu trennen ich mich bemühte.
Die erste bestand darin, Kreneks Klaviernoten auf die Instrumente eines kleinen Orchesters zu übertragen -
die zweite, die Lieder zusammen mit dem Sänger und den Musikern möglichst lebendig zum Klingen zu bringen.
 
Warum überhaupt Instrumente und nicht Klavier?
Krenek selbst hat (für etwas größere Besetzung) schon einige Lieder arrangiert
und die Lieder legen eine Instrumentalversion sehr nahe,
da die Texte mit den unterschiedlichsten Emotionen so prall gefüllt sind,
dass sich das Bedürfnis nach stärkeren farblichen Kontrasten
und nuancenreicheren Zwischentönen, als sie das Pianoforte
über die zeitliche Spanne der 20 Lieder anzubieten vermag, sehr rasch einstellte.
Eine Gefahr bestand darin, die schnellen, teilweise kabarettistischen Spitzkehren der Texte und Töne variabel und flexibel auch mit dem Orchester kurven zu können, ohne dass dabei die Kontinuität des musikalischen Zusammenhaltes am nächsten Baum landet.
 Und wie immer entstehen die Fragen der Tonlage. Ein Pianist kann mit jeder Hand ungefähr eine Oktave mit Tönen vollpacken. Je weiter aber seine Hände,
um musikalische Breite und Weite zu erzeugen, Tiefe und Höhe besetzen,
klafft zwischen beiden eine Klanglücke. Manchmal scheint ein solcher Abstand charakterisierend für den Ausdruck des musikalischen Momentes zu sein,
manchmal scheint er nach zusätzlichen Tönen zu rufen und ab und zu
erscheint die klangliche Isolation, die durch den Abstand mitunter entsteht,
bei einer Instrumentation gar nicht mehr notwendig,
da sich die Orchesterinstrumente ohnehin stärker voneinander abheben
als Klaviertöne es können.
 
Wichtig bei der Arbeit war mir außerdem die geradezu kristalline Klarheit von Kreneks Tonsprache zu erhalten und sie nicht durch ein „orchestrales Pedal“ weichzuspülen. Die Nuancen sollen direkt sein, ohne Vorbereitung oder Übergang. Das kann manchmal etwas kompromisslos und herb wirken, steigert aber durch
die entstehenden Kontraste den Unterhaltungswert bei Erhalt aller Tiefsinnigkeit
und bringt die Luzidität seiner textlichen und musikalischen Gedanken
besonders gut zur Geltung.
Ich hoffe und glaube in seinem Sinne geschrieben zu haben...
 
Der 2. Teil der Aufgabe war deutlich weniger durch Zögerlichkeiten,
Zweifel oder Abwägen geprägt.
Ein Lied zu instrumentieren bedeutet womöglich einige Tage Einsamkeit
mit dem Schreibtisch. Die Zeit der Realisierung ist kurzweilig.
Die Lieder zu singen und zu spielen, heißt die gegenseitige Inspiration auf
häufig weniger als 3 Minuten Lieddauer zu komprimieren und abzustimmen.
Mit Matthäus, der die ganze Produktion initiiert hat und den
wunderbaren Musikern war dies eine lustvolles Unterfangen,
was hoffentlich auch für andere hörbar wird auf dem hier angebotenen Produkt.  
 
© Ingo Ingensand (Herbst 2016) siehe auch: https://ingo-ingensand.at/